Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS)

Innere Medizin

Definition

Überwiegend autosomal-dominant vererbte Störung bzw. Mangel des Von-Willebrand-Faktors (vWF) mit einer kombiniert thrombozytären und plasmatischen Gerinnungsstörung. Das Ausmaß der Blutungsneigung hängt von der Stärke des Funktionsdefektes ab.

Epidemiologie

Das vWS ist die häufigste hereditäre Gerinnungsstörung mit einer Prävalenz von 0,1–1,5 % (abhängig vom Schweregrad). Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Pathogenese

Der vWF ist als Komplex mit Faktor VIII gebunden. Er vermittelt die Plättchenadhäsion und -aggregation sowie die für die Blutstillung notwendige Interaktion zwischen Endothel und Thrombozyten. Ein Defekt des Faktor-VIII-Komplexes führt daher sowohl zu einer Störung der Thrombozytenfunktion (primäre Hämostase) als auch der humoralen Gerinnung (sekundäre Hämostase).

Der Faktor-VIII-vWF-Komplex setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:

  • Faktor VIII:C (= Faktor-VIII-Gerinnungsaktivität) – Defekt im Gerinnungssystem
  • Von-Willebrand-Faktor (vWF) – Defekt der primären Hämostase

 

Faktor VIII:C wird an vielen Stellen im Körper aus dem Endothel synthetisiert. Der vWF wird im Endothel der Arterien, Venen, Plättchen und Megakaryozyten synthetisiert. Während Faktor VIII:C über die gerinnungshemmende Aktivität gemessen wird, folgt die Bestimmung von vWF über Antigendeterminanten (immunologisch). Ein Mangel an Faktor VIII:C hat eine klassische Hämophilie zur Folge. Eine Verminderung von vWF führt zu einer Störung der Interaktion des Molekülkomplexes mit Kollagen.

Einteilung

    Man unterscheidet 3 Schweregrade bzw. Typen des vWS:

    Typ I: autosomal-dominante Vererbung, quantitative Verminderung des vWF (am häufigsten; 80 %) mit leichten Blutungen

    Typ II: autosomal-dominante Vererbung, qualitativer Defekt des vWF (15–20 %) mit leichten bis mittelschweren Blutungen

    Typ III: autosomal-rezessive Vererbung, homo- oder heterozygot, vWF fehlt, selten (0,5–5 %) mit schweren Blutungen.

    Klinik

    Das Krankheitsbild ist variabel. Spontane Blutungen sind im Vergleich zur Hämophilie selten. Meist finden sich nur kleinere, diskrete Blutungen in Form von subkutanen Hämatomen, Petechien und Neigung zu Nachbluten bei Bagatelltraumen. Typisch sind Schleimhautblutungen (Epistaxis, Gingivablutung). Bei schweren Mangelerscheinungen können starke Regelblutungen (Menorrhagien) und postoperative Nachblutungen (z. B. nach Zahnextraktion) von schwererem Ausmaß auftreten. Das leichte und mittelschwere vWS wird oft erst im Rahmen von operativen Eingriffen erkannt.

    Diagnostik

    Die Blutungszeit ist bei allen Patient*innen mit vWS verlängert (bei Hämophilie normal!). Die aPTT ist nur bei einem Defekt des Faktors VIII:C verlängert. Bei Faktor-VIII:rAg-Mangel ist die Thrombozytenaggregation auf Ristocetin vermindert. Bei einer Störung dieses Komplexanteils ist das vWF-Antigen vermindert. Die Faktor-VIII- und -IX-Aktivität sowie die übrige plasmatische Gerinnung sind normal.

    Therapie

    Bei schweren Blutungen und präoperativ ist die Substitution von vWF-Konzentrat indiziert. vWF im Blut sollte auf über 70 % der Norm angehoben werden. Vasopressin führt zur Freisetzung des vWF aus dem Gefäßendothel und wird über die Nasenschleimhaut resorbiert (DDAVP). Östrogenpräparate können bei Frauen zu einer Synthesesteigerung des vWF führen. Schwere Defekte von vWF (Typ II, Typ III) können nur durch Substitution behandelt werden.

    Literatur

     

    Quellenangaben
    • Spannagl M. Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS). In: Arastéh K, Baenkler H, Bieber C, Boesecke C, Brandt R, Bruns B, Bugaj T, Chatterjee T, Ditting T et al., Hrsg. Duale Reihe Innere Medizin. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2024.

     

    eRef-Link: https://eref.thieme.de/11E5VYXI